Fehlende Grundkompetenzen bei Schweizer/innen und Ausländer/innen

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Ich möchte Ihnen heute ein Thema näherbringen, dass immer noch vielen Leuten nicht bekannt ist und deshalb auch nicht in seiner vollen Tragweite wahrgenommen wird.

Folgende Fragen werde ich beleuchten:

  • Was sind Grundkompetenzen?
  • Welche Personen sind von mangelnden Grundkompetenzen betroffen?
  • Was bedeutet ein Mangel an Grundkompetenzen für die betroffenen Personen und die Gesellschaft / die Wirtschaft?

Was sind Grundkompetenzen?

Unter Grundkompetenzen versteht man gemäss WeBiG (Weiterbildungsgesetz vom 1.1.2017):

Grundkompetenzen Erwachsener sind Voraussetzungen für das lebenslange Lernen und Umfassen grundlegende Kenntnisse und Fähigkeiten in den folgenden Bereichen:

  1. Lesen, Schreiben und mündliche Ausdrucksfähigkeit in einer Landessprache;
  2. Grundkenntnisse der Mathematik;
  3. Anwendung von Informations- und Kommunikationstechnologien IKT.

Ich versuche, den gesetzlich trockenen Text etwas näher zu beschreiben.

Lesen

Neben dem rein mechanischen Lesen ist hier vor allem das Leseverständnis gemeint.

Beispiel: Einer Person ist es zwar möglich einen einfachen Text wie z.B. eine Hausordnung vorzulesen, sie versteht aber den Inhalt des Gelesenen nicht. So passieren Fehler und Missverständnisse.

Schreiben

Durch mangelnde Übung ist das Schriftbild so unleserlich, dass ein Dritter dieses nicht oder schlecht entziffern kann.

Beispiel: Wenn man ein Formular z.B. bei der Post nicht leserlich ausfüllt, dann kommt ein Päckchen vielleicht nicht an.

Mündliche Ausdrucksfähigkeit

Um am gesellschaftlichen und/oder beruflichen Leben in der Schweiz teilnehmen zu können ist es wichtig, dass man sich mit anderen Menschen austauschen und in Kontakt treten kann – sprich die lokale Amtssprache beherrscht. Ist das nicht der Fall entsteht Isolation und Ausgrenzung.

Beispiel 1: Eine Mutter kann nicht Deutsch sprechen und somit nicht in Kontakt mit anderen Müttern oder den Lehrpersonen der Kinder treten. So wird diese Mutter und damit oft auf auch ihre Kinder isoliert.

Beispiel 2: Ein Mitarbeiter in der Logistik einer Grossfirma muss seine Pausen stets alleine verbringen, weil er zu wenig deutsch kann, um sich an Gesprächen zu beteiligen.

Grundkenntnisse in Mathematik

Man spricht hier auch von Alltagsmathematik. Damit ist gemeint, dass man numerische Informationen in ein Verhältnis zum Alltag setzen kann.

Beispiel 1: Der Vergleich von Mietpreisen unterschiedlicher Wohnungsgrössen, sei dies Zimmer- oder Quadratmeterzahl, fällt schwer und es kann nicht die optimale Wohnung ermittelt werden.

Beispiel 2: Das Mischverhältnis von konzentrierten Reinigungsmitteln kann nicht berechnet werden.

IKT

In der digitalen Welt in der wir heute leben, ist ein minimaler Umgang mit digitalen Medien (Handy, PC, etc.) unumgänglich.

Beispiel 1: Die Mutter muss am Familienchat der Schule teilnehmen können, sonst verpasst sie viele Informationen, die für ihr Kind wichtig sind.

Beispiel 2: Auch in den einfachsten Berufen muss man die Stunden im Stundenrapport auf einen PC eintragen können.

Welche Personen sind von mangelnden Grundkompetenzen betroffen?

Man unterscheidet zwei Personengruppen, bei denen mangelnde Grundkompetenzen auftreten.

Gruppe 1 Deutschsprachige und Deutsch Sprechende
Hier handelt es sich einerseits um Schweizer, welche die obligatorische Schulzeit in der Schweiz absolviert haben und andererseits um Personen mit Migrationshintergrund, die langjährig in der Schweiz ansässig sind und häufig auch die obligatorische Schulzeit in der Schweiz absolviert haben.

Gruppe 2 Fremdsprachige.
Auch hier unterscheiden wir zwei Gruppen: Die Eine Gruppe ist in ihrer Heimat nie oder nur kurze Zeit zur Schule gegangen. Gründe dafür können kultureller Art sein oder Krieg etc.. Die andere Gruppe wurde in ihrer Heimat in einem anderen Schriftsystem alphabetisiert, kennt aber das lateinische Alphabet nicht.

Was bedeutet ein Mangel an Grundkompetenzen für die betroffenen Personen?

Die Teilnahme am gesellschaftlichen, beruflichen und politischen Leben ist massiv durch die mangelnden Grundkompetenzen (alle oder nur Teile davon) erschwert. Konkrete Auswirkungen sind:

  • Sie sind häufig gering qualifiziert, was ihnen den Zugang zum Arbeitsmarkt massiv erschwert. Dadurch leben sie häufig an der Armutsgrenze, gehören zu den Working Poor oder beziehen Sozialhilfe.
  • Sie arbeiten in Branchen, die wenig bis keine firmeninterne Weiterbildung durchführen. Eigene Ressourcen für Weiterbildung, die ihnen aus der Misere heraushelfen würde, können diese Personen meist nicht aufbringen. Die meistgenannten Gründe sind Kosten, Zeitmangel, gesundheitliche Gründe und eine zu hohe familiäre Beanspruchung. Oft liegt es auch an der mangelnden Grundbildung und der Einsicht in den Nutzen einer Weiterbildung und damit für das lebenslange Lernen nicht vor.
  • Nicht-Berufstätige z.B. Mütter, können ihre Kinder nicht genügend in der Schule unterstützen. Dadurch geraten auch die Kinder in diesen Kreislauf. Das hat sich während der Coronakrise in den Schul-Lockdowns ganz deutlich gezeigt. Kinder aus bildungsnahen Elternhäusern haben die Zeit ohne Präsenzunterricht besser überwunden, als Kinder aus bildungsfernen Elternhäusern.
  • Und dann wäre da noch das TABU. Fehlende Grundkompetenzen sind in der Schweiz ein Tabu. Wer nicht lesen, schreiben und/oder rechnen kann oder wer seinen Beruf aufgrund der digitalen Veränderungen nicht mehr zufriedenstellend ausüben kann, hat in unserer Gesellschaft Mühe, dies öffentlich zu bekunden und Hilfe in Anspruch zu nehmen.

Was bedeutet ein Mangel an Grundkompetenzen der Gesellschaft / der Wirtschaft?

Jetzt denken Sie vielleicht, das sei eine kleine Gruppe. Weit gefehlt. Betroffen sind in der Schweiz 15% der Wohnbevölkerung. Im Kanton Zürich sind das ca. 140‘000 Personen. Davon gehören zwei Drittel zur o.g. obengenannten Gruppe 1 und ein Drittel zur Gruppe 2. Zwei Drittel aller der Personen arbeiten.

Dazu noch eine Zahl: Die sozialen Kosten, die sich allein aus der Leseschwäche bei Erwachsenen ergeben, belaufen sich in der Schweiz auf jährlich CHF 1316 Milliarden. Für den Kanton Zürich bedeutet dies rund Fr. 224 Millionen Folgekosten pro Jahr.

Durch die Fehler, die durch mangelnde Grundkompetenzen entstehen, entstehen der Wirtschaft massive Zusatzkosten. Hier ein kleines Beispiel:

Beispiel:

Ein Arbeiter trägt die geleisteten Stunden und das verbrauchte Material falsch in seinen Rapport am PC ein. Als Ergebnis stellt die Firma dem Kunden eine falsche Rechnung aus. Der Kunde reklamiert und ist unzufrieden. Die Firma muss mit zeitlichen und finanziellen Ressourcen den Fall wieder in Ordnung bringen. Der Kunde wird vielleicht nie mehr mit dieser Firma zusammenarbeiten.

Was kann man dagegen tun? Was wird heute schon getan?

  • Ein erster grosser Schritt war 2017 die in Inkraftsetzung des Weiterbildungsgesetzes WeBiG auf nationaler Ebene. Zurzeit läuft die Umsetzungsphase im Kanton Zürich.
  • Man muss das Bewusstsein, der der nicht betroffenen Wohnbevölkerung, inklusive aller politischer Ebenen, für die Problematik bilden, dass es sich nicht um Einzelfälle handelt. Auch muss bewusst gemacht werden, dass die Investition in die Weiterbildung dieser Personengruppe für den Staat und die Wirtschaft massiv günstiger ist, als die Finanzierung der Personen mit Arbeitslosengeld, Sozialhilfe etc.
  • Aufgrund der oben beschriebenen persönlichen Situation müssen niederschwellige Einstiegsangebote finanziert werden. Ein gutes Beispiel hierfür sind die Lernstuben, die der Kanton Zürich aufbaut, wie auch das Alpha Telefon oder das Beratungstelefon Grundkompetenzen.
  • Die Zusammenarbeit der verschiedenen betroffenen Departemente im Kanton Zürich sollte weiter intensiviert werden, um Doppelspurigkeit zu vermeiden und Synergien zu nutzen.

Es gibt viel zu tun, packen wir es an! Die ZKW wird ihren Beitrag dazu leisten.

©ZKW Zürcher Konferenz für Weiterbildung – Auf Kopieren oder anderweitiges Vervielfältigen wird mit rechtlichen Schritten reagiert.

Autor

Name: Carola Ernst

Beruf: Vorsitzende der Geschäftsleitung

Website: Akrotea.ch

Motto: Einsatz für die Schwächsten in der Gesellschaft

Akrotea
Carola Ernst

Akrotea.ch GmbH ist eine Bildungsorganisation, die seit über 20 Jahren in der Erwachsenenbildung tätig ist. Wir führen entweder selbst entwickelte Kurse durch oder unterstützen andere Bildungsorganisationen in deren Prozessen und Entwicklungen. Akrotea bietet Deutsch- und Alphabetisierungskurse für fremdsprachige Immigranten an.