Lernen vs. Unterricht

Bildungsmacher

In der Schweiz wird sehr viel Zeit, Aufwand und Geld in Bildung investiert. Im Kanton Zürich ebenso. Das war und ist vielleicht immer noch der Grund, wieso wir stets das Gefühl haben, dass unser Unterrichtssystem immer schon gut war und ist. Diese Einschätzung beruht weiter auf der Annahme, dass was unterrichtet wird auch gelernt wird. Schon länger weiss man aus Untersuchungen, dass dies nicht zutrifft. Umso wichtiger ist es deshalb, dass wir uns mit dem Thema Lernen, anstatt mit dem Thema Unterricht, auseinandersetzen. Und wenn wir es praktizieren möchten, werden wir uns bewusst, dass Definitionen oder Rezepte nicht existieren. Lernen findet sehr individuell statt. Deshalb ist es umso wichtiger, dass alle Schuleinrichtungen, Weiterbildungsanbieterinnen und Kursleiterinnen sich so oft als möglich hinterfragen. Es gibt aber in der Forschung gewisse Hinweise, und es ist auch deshalb sehr hilfreich, wenn wir in der Planung und Durchführung der Lektionseinheiten, uns etwas daran orientieren. Ich frage mich als Lehrperson nicht was unterrichte ich, sondern was lernen meine Kursteilnehmenden heute genau?

Persönlicher Bezug zu den Themen

Das Thema und der Inhalt müssen direkt mit der Person, die ich unterrichte, zu tun haben. Die persönliche Gestaltung fängt damit an, dass die Person selber weiss was sie interessiert. Deshalb kann nicht genug betont werden, wie wichtig die Phase des Lektionseinstieges ist. Hier sollten wir den Personen Zeit geben, über ihre eigene Meinung oder Einstellung zum Thema nachzudenken und diese für sich selbst festzuhalten. In dieser Phase ist auch der Austausch mit mindestens einer Person der Klasse wichtig. Hier noch eine Zwischenbemerkung: Plenardiskussionen, das wissen wir ja, sollen möglichst kurz und prägnant sein. Quasi als Zückerchen, aber nicht als Regelunterricht. Wenn eine Person über ihre Haltung nachgedacht hat, und sich auch darüber ausgetauscht hat, haben wir es in aller Wahrscheinlichkeit vollbracht, einen Bezug herzustellen.

Spassfaktor

Aus der Forschung wissen wir, dass Lernen unbedingt Spass machen muss. Wer sich gestresst fühlt, ist blockiert und kann nicht lernen. Spass heisst aber nicht, dass alles lustig sein soll. Ein Schlüsselwort ist eher „lustvolles Lernen“. Spass bedeutet, dass die Inhalte und die Diskussionen spannend sind und dass eine positive Atmosphäre und auch die Lektionsgestaltung neugierig machen. Wenn unsere Kursteilenehmenden schon mit Vorfreude in die Lektionen erscheinen, haben wir als Pädagogen schon vieles richtig gemacht. Und wenn die gleichen Kursteilnehmenden dann noch glücklich und zufrieden nach Hause gehen, dann haben wir wirklich alles richtig gemacht!

Beziehungen

Lernen findet dann statt, wenn Beziehungen entstehen und bestehen. Wer sich nicht wahrgenommen fühlt, hängt früher oder später ab und wird mutlos und motivationslos. Toll ist, wenn wir als Kursleiter*innen uns daran erinnern, was eine Person schon in der Vergangenheit über sich gesagt hat, und dass im oder nach dem Unterricht noch nebenbei erwähnen. Um dies bei allen Teilnehmenden zu vollbringen, ist natürlich sehr anspruchsvoll und braucht Übung. Wenn wir uns aber ehrlich für die Personen bei uns im Unterricht interessieren, geht das gut. Wir nehmen unsere Kursteilnehmenden ernst und siehe da, anstatt Unterricht findet Lernen statt!

Individualität und Individualisierung

Hier liegt der Schlüssel zum erfolgreichen Lernen und für die Chancengleichheit. Die Planung und Gestaltung des Unterrichts und des Lernens funktionieren dann gut, wenn die Teilnehmenden ihr Arbeitstempo und die Arbeitsschwerpunkte selber gestalten können. Nichts, aber gar nichts, ist so demotivierend, als wenn alle gleichzeitig Aufgaben lösen sollen. Die Personen im Unterricht mit einer raschen Auffassungsgabe und effiziente Arbeitsweise langweiligen sich, weil sie immer und ewig warten müssen und die Personen, die mehr Zeit benötigen, leiden unter Dauerstress. Dazu spricht es natürlich für sich, dass lange Lehrgespräche und aufwendige Erklärungen individuell und nicht im Plenum durchgeführt werden.

Wahl- und Entscheidungsfreiheit

Wir kennen es alle: Es ist sehr motivierend, wenn wir selbst entscheiden oder wählen können. Wie ermögliche ich es im Klassenverband? Es fängt prinzipiell damit an, dass wir bei Partnerarbeiten oder auch für die Gruppeneinteilung den Teilnehmenden erlauben, ihre eigenen Gruppen und Teammitglieder auszuwählen. Nun bei der Themenwahl, da wird es schon etwas schwieriger. Es gibt Themen, die quasi vorgeschrieben sind. Wie gehen wir in dieser Situation damit um? Hier hilft es, wenigstens eine Methodenfreiheit zu ermöglichen. Die Teilnehmenden entscheiden also dann selbst, wie sie vorgehen möchten, anstatt Fragen beantworten zu müssen. Fragen gehören sowieso nicht zu den guten Aufgaben – das wissen wir mittlerweile sehr gut! Es kann vorkommen, dass einzelne Personen sich entscheiden, Unterrichtseinheiten für die ganze Gruppe zu gestalten, selbst Vorträge dazu in der Klasse zu halten und von zusätzlichen Informationen mittels Recherchen, eine Auswahl für die ganze Gruppe zu erstellen und zur Verfügung zu stellen.

Authentische Materialien

Es ist bekannt, dass echte Aufgaben sehr motivierend sind und Lernen extrem aktivieren. Was sind echte Aufgaben? Wenn ich lernen möchte, Auto zu fahren, und ich dann in der Tat schlussendlich das Auto steuern kann und dazu noch die Prüfung bestehe, habe ich echte Aufgaben bewältigt und wirklich etwas gelernt. diese Situation im Klassenverband zu bewerkstelligen, wird schon eine wahre Herausforderung. Authentische Unterrichtsunterlagen aus dem Alltag, helfen uns hier sehr. Wenn ich einen Kuchen backen will, möchte ich mit einem richtigen Rezept, so auch die Sprache und die Methode verstehen. Das ist klar und auch nicht so knifflig für die Lehrperson. Auf der Ebene der Weiterbildung nach der Stufe Sek II, ist es hilfreich mit Problemlösung zu agieren. Welche Probleme möchten die Lernenden individuell angehen und lösen? Diese könnten die Auseinandersetzung mit den eigenen arbeitsrechtlichen Fragen, Versicherungsangelegenheiten, Finanzierungen und so weiter sein. Oder natürlich auch von technischer Art und / oder die Entwicklung von alternativen Methoden und Prozessen! Wenn wir dies erreicht haben, können wir davon ausgehen, dass wir als Pädagogen unsere Ziele erreichen und echtes Lernen anstatt Unterricht ermöglichen.

Viel Erfolg und auch Ihnen viel Spass! Freuen Sie sich denn „last but not least“ gilt auch, dass Lernen am besten gefördert wird, wenn auch die Lehrperson Spass hat!

©ZKW Zürcher Konferenz für Weiterbildung – Auf Kopieren oder anderweitiges Vervielfältigen wird mit rechtlichen Schritten reagiert.

Autor

Name: Wilma Willi

Beruf: Kantonsrätin und Berufsschullehrerin

Website: wilmawilli.com

Wilma Willi

An der Berufsschule ist es ihr ein Anliegen die Jugend zu befähigen und so können ihre Lernenden alle zweisprachig die Lehrabschlussprüfung abschliessen. Als Grüne Kantonsrätin setzt sich Wilma Willi für funktionierende Strukturen im Kanton Zürich ein, für Fairness und für Gerechtigkeit, auch in der Bildung. Naturschutz und Förderung der Biodiversität ist fürs Überleben zentral und deshalb soll auch die Umweltbildung vermehrt Beachtung finden und gefördert werden.