Prüfungsangst – wie wir die Lernenden unterstützen können

Bildungsmacher | Sprachpflege

Die Sommerferien sind vorbei, für viele Schüler*innen beginnt ein neues Abenteuer: die Lehre. Es ist eine grosse Veränderung, die auf die Lernenden zukommt. Plötzlich tragen sie mehr Verantwortung, müssen Arbeiten schreiben, jede Woche Prüfungen schreiben, im Betrieb hoch konzentriert mitarbeiten, zuhause die neuen Eindrücke verarbeiten … und sich den neuen Herausforderungen stellen. Der Start ins Berufsleben ist ohne Zweifel ein grosser Schritt. Arbeitgeber, Vorgesetzte und Lehrpersonen sollten den Jugendlichen einen guten Start ermöglichen und darauf achten, ob Unterstützung nötig ist. Denn wenn Schwierigkeiten früh erkannt werden, werden die Lernenden in den kommenden Ausbildungsjahren positiv davon profitieren. Bei den hohen Anforderungen, die erreicht werden sollen, kann die Prüfungs- resp. Bewertungsangst häufig im Weg stehen.

Prüfungsangst durch Leistungsdruck

Die Prüfungsangst gehört zu den sozialen Phobien und ist eine sogenannte Bewertungsangst. Wenn persönlichen Ziele an hohe Erwartungen geknüpft sind, kann eine negative Bewertung alles zerstören. Durch diesen selbst auferlegten Druck entsteht eine ständige Angst vor dem Scheitern.

Arten der Prüfungsangst

Die Prüfungsangst wird in zwei Arten unterteilt: Die Angst vor der Prüfung und die Angst während der Prüfung. Eine Unterscheidung ist zwingend notwendig, weil die Ursachen, Symptome und Auswirkungen in diesen Situationen sehr unterschiedlich sind.

Die Angst vor der Prüfung kann sich über einen Zeitraum von mehreren Tagen oder noch länger erstrecken. Darunter leidet vor allem die Vorbereitungszeit, die für das Lernen genutzt werden könnte. Typische Vermeidungsverhalten sind beispielsweise Musik hören, gamen, Sport machen, Freunde treffen, Zimmer aufräumen.

Die Angst während der Prüfung kann so stark sein, dass es bis zur Blockade führt, weil die Betroffenen sich ständig selbst beobachten und so immer tiefer in ihre Angst geraten. Eine Flucht ist aber nicht möglich, weil dann das Durchfallen bei der Prüfung vorprogrammiert ist.

Wie sich Bewertungsangst äussert

Folgende negativ empfundenen Symptome werden von Lernenden mit Prüfungsangst immer wieder aufgezählt:

  • Nervöse Spannungszustände
  • ständige Unruhe
  • Stimmungsschwankungen
  • Fahrigkeit
  • Aufgeregtheit
  • Überregtheit
  • hektische oder überbetonte Bewegungen
  • Zittern der Hände oder des ganzen Körpers
  • Steifwerden
  • Rotwerden
  • schweissnasse Hände
  • Blackouts

Ursachen für die Bewertungsangst

Warum eine Person an Prüfungsangst leidet, kann verschiedene Ursachen haben. Es kann sein, dass zu wenig auf eine Prüfung gelernt wurde. Das Gefühl, zu wenig gemacht zu haben, lässt an sich zweifeln. Was ebenfalls mitspielt, sind die Erfahrungen, die während der Schulzeit gemacht wurden. Bei mangelnder Struktur und zu schwierigen Lernaufgaben verliert der/die Lernende die Kontrolle und bei Bestrafungen oder gar Liebesentzug der Eltern das Selbstvertrauen. Ein weiterer Faktor ist das Selbstkonzept der eigenen Begabungen. Da die eigenen Fähigkeiten bei Lernenden mit geringem Begabungskonzept jeweils unterschätzt werden, sind die Prüfungssituationen von Angst und Aufgeregtheit geprägt.

Prüfungsangst muss nicht immer schlecht sein

Gehirnforscher unterscheiden zwischen physiologischen und kognitiven Aspekten. Der wichtigste Teil, um die Auswirkungen der Angst zu beobachten, ist das limbische System. Wenn sich ein Mensch in einer bedrohlichen Situation befindet, schütten Nervenzellen der Mandelkerne (Amygdalae) den erregenden Botenstoff Glutamat aus, der den Hypthalamus und den Hirnstamm aktiviert. Da sie die Alarmzentren des Gehirns sind, schütten sie Stress-Gene aus, die dann zu den bereits erwähnten Symptomen führen.

Positive Folgen

Weil die bevorstehende Prüfung sehr wichtig ist und unbedingt bestanden werden muss, entwickelt sich extrinsische Motivation. Sie erzeugt die nötige Energie für das Vorbereiten und Planen des Prüfungsstoffs.

In der Vorbereitungsphase wenden die Betroffenen vermehrt analytische und detailorientierte Lernstrategien an und wiederholen das Gelernte regelmässig.

Während der Prüfung fokussieren sich die Betroffenen nur noch auf die Prüfungssituation und lassen sich durch nichts ablenken, da der Herz-/Kreislauf aktiviert wird, die Muskeln gestärkt werden, durch die Ausschüttung von Glykogen mehr Energie vorhanden ist und die Konzentration erheblich gesteigert ist. Diese physiologischen Aspekte werden in der Neurodidaktik „arousal“ genannt.

Negative Folgen

Bei den meisten Lernenden drehen sich die Gedanken ständig um die Prüfung. Dies hat zur Folge, dass die Aufmerksamkeit in der Vorbereitungsphase stark darunter leidet. In der Neurodidaktik spricht man bei diesen kognitiven Aspekten von „worry-Kognitionen“. Eine typische Folge davon ist die Regression. Sie zeigt sich in Vermeidungsverhalten wie z. B. Musik hören, Pflanzen giessen, ein Buch lesen oder Aggressionen gegenüber den Mitbewohnern, sich selbst, dem Prüfungsstoff oder dem Dozierenden. Die Prüfungssituation wird immer stärker dramatisiert und die Gefühle der Angst so immer weiter verstärkt. Es kommt vor, dass die ursprüngliche Prüfungsangst nicht mehr situativ bleibt, sondern auch auf andere Situationen übertragen wird und es bis zur Depression oder einer neurotischen Angststörung führen kann. Neben diesen psychischen Folgen gibt es auch physische Folgen. Der Stress kann z. B. Magenbeschwerden oder zu hohen Blutdruck auslösen.

Wie können Betroffene im Umgang mit Prüfungsangst unterstützt werden?

Die Bewertungs- und Leistungsangst begleitet jeden Einzelnen ein Leben lang. Sie kann nicht wie ein störender Fleck entfernt werden. Doch es gibt verschiedene Möglichkeiten, wie sie verringert werden kann. Die getroffenen Massnahmen führen zu einer realistischen Beurteilung der Prüfungssituation und einem Gefühl des Erfolgs. Je mehr Prüfungssituationen so erlebt werden, desto besser werden die zukünftigen Bewertungen gemeistert. Im Folgenden werden vier Möglichkeiten zur Behandlung der Prüfungsangst vorgestellt.

Selbstreguliertes Lernen: Durch die Vermeidungsstrategien ist es den meisten Lernenden nicht mehr möglich, an die Vorbereitung der Prüfung zu denken, ganz zu schweigen an die Planung der Prüfungsvorbereitung. Dazu ist ein gutes Zeitmanagement erforderlich:

  1. Prüfungsinhalt bei der Lehrperson abklären; Tipp: Skript mit Fragen und Antworten, Zusammenfassung als Mindmap oder Fliesstext, Lernkärtchen mit dem App Quizlet erfassen.
  2. Zeitplanung; Tipp: Zielsetzung beinhaltet auch sportliche Aktivitäten, Freunde treffen etc.
  3. Arbeitsprotokoll erstellen
  4. Arbeits- und Lernmethode kennen (anhand eines Lerntypentests)
  5. Übersichts- und Wochenplan erstellen

Mit diesem Zeitmanagement geht man viel ruhiger an die Prüfungsvorbereitung heran und lässt der Angst und den Zweifeln viel weniger Raum.

Autogenes Training: Unter den zahlreichen Entspannungsmethoden ist das Autogene Training nach Johann Heinrich Schultz eine sehr wirkungsvolle Methode. Dabei geht es um die Entspannung des ganzen Körpers und das  Loslassen der Gedanken. Erreicht wird dieser Zustand mit Formeln, die ständig innerlich wiederholt werden. Die Empfindung von Wärme und Schwere sowie die Atmung und der Herzrhythmus werden dadurch beeinflusst. Dieser „konzentrative“ Prozess wirkt sich auf das vegetative Nervensystem aus, vor allem auf den Parasympathikus, welcher  nicht ohne Grund als „Ruhenerv“ bezeichnet wird. Die Übungsdauer des Autogenen Trainings beträgt acht bis zehn Minuten. Mit der Zeit können die Wiederholungen abgekürzt werden, so kann der Ruhezustand auch binnen weniger  Minuten erreicht werden.

Mit dem autogenen Training kann die Konzentrationsfähigkeit verbessert, unruhige Spannungszustände gedämpft oder gelöst und eine grössere Gelassenheit entwickelt werden.

Selbsthypnose: Eine andere Möglichkeit, Angst abzubauen, ist die Autohypnose. Durch relativ einfache Übungen und regelmässigem Wiederholen kann eine tiefe Entspannung vor und sogar  während der Prüfung erlangt und Blockaden abgebaut werden. Dies geschieht mit der Hypnose durch Innenbilder, sogenannte Imaginationen.

Durch die Selbsthypnose werden wie beim Autogenen Training physiologische Prozesse wie Hautdurchblutung, Hirnaktivität, Herzschlag und Immunsystem beeinflusst. Hinzu kommt eine Verbesserung der Aufnahmefähigkeit und Zeitwahrnehmung.

Die Ausbilder*in, Dozent*in oder Lehrperson mit der betroffenen Person respekt- und verständnisvoll umgehen. Ein einfühlendes, empathisches Verhalten zeigt der/dem Betroffenen, dass er/sie ernst genommen wird. Positive Rückmeldungen während den Unterrichtseinheiten bestärken den Lernende*n. Was nicht vergessen werden darf: Wir wollen Freude am Lernen vermitteln. Mit verschiedenen Unterrichtssequenzen, Spielen, Gruppen- anstatt Einzelarbeiten kann der Unterricht spannend gestaltet werden. Bei der Korrektur der Prüfungen sollte darauf hingewiesen werden, was gut gelöst wurde und nicht, was falsch war. Lob kommt vor Tadel. Und falls es sich in den Lehrplan integrieren lässt, wäre eine Möglichkeit, das Thema Prüfungsangst in der Lerngruppe zu thematisieren.

Die Bewertungsangst lässt sich sehr schwer definieren. Jeder Betroffene erlebt die Situationen der Angst unterschiedlich und in einem verschiedenen Ausmass. Wichtig ist, dass sich jeder Lernende über seine Fähigkeiten, seine Ziele und auch seinen Lerntyp bewusst ist. Erst dann können die Symptome erfolgreich gehemmt werden. Die Möglichkeiten sind genauso vielfältig wie das Ausmass der Beschwerden. Manchmal genügt eine Optimierung der Lernstrategien oder einen gut überlegten Unterricht der Lehrperson. Bei anderen Betroffenen helfen  eventuell eher Entspannungsübungen oder gar eine Therapie. Erwiesen ist, dass es für jede Person eine Chance gibt, etwas gegen seine Angst zu tun.

Quellenangaben:

– Heckhausen, Motivation und Handeln
– Knigge-Illner, Helga: Prüfungsangst besiegen
– Kossak, Hans-Christian: Lernen leicht gemacht
– Steiner, Verena: Lernpower

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Autor

Name: Sabrina Keller

Beruf: Dipl. Sprachlehrerin (Erwachsenenbildung), Ausbilderin mit eidg. FA

Funktion: Inhaberin Sprachpflege Sabrina Keller, Dozentin, Sprachlehrerin

Motto: «Ich vermittle Sprachen mit Freude, Herz und modernen Methoden.»

Website: sprachpflege.ch

Sprachpflege
Sabrina Keller

Sprachpflege Sabrina Keller wurde im Januar 2021 gegründet und bietet «Wellness für die Sprache» an. Das Angebot umfasst individuellen Privatunterricht – hauptsätzlich online – für Deutsch- und Schweizerdeutsch, Lektorate für wissenschaftliche Arbeiten, Nachhilfeunterricht für Deutsch oder Französisch, Prüfungsvorbereitung für KDE, telc oder Goethe sowie Workshops zur Dunstan Babysprache.